Impuls am Abend - ASLSP

Diese Buchstabenreihe ASLSP ist eine Abkürzung. Sie steht für „As SLow aS Possible” – so langsam wie möglich. Es handelt sich dabei um ein Musikstück für Orgel von John Cage, das er 1987 für den Organisten Gerd Zacher komponierte. Dieser hat es 1989 in Metz mit einer Spieldauer von 29 Minuten aufgeführt. 

Im April 2010, kurz vor meiner Einführung als Pfarrer hier in Liebfrauen Bocholt, war ich für einige Tage in Goslar, Wernigerode, Quedlinburg und Halberstadt. In Halberstadt entdeckte ich in der St. Burchardi-Kirche, die übrigens eine ganz wechselvolle Geschichte erlebt hat, dieses ungewöhnliche Musikereignis. 

Seit 2001 erklingt dieses langsamste und längst andauernde Orgelstück. Im Dom in Halberstadt wurde 1361 eine der ältesten Orgeln der Neuzeit gebaut. Da der Dom in Halberstadt für die Feier von Gottesdiensten genutzt wird, kam die ungenutzte St. Burchardi-Kirche für die Umsetzung dieses Orgelprojektes in den Blick. John Cage schrieb die Komposition um: Die einzelnen Töne wurden in der Weise verlängert, bis aus dem 29-Minuten-Stück ein 639 Jahre dauerndes Werk wurde. Eigentlich sollte der erste Ton im Jahr 2000 erklingen; es wurde dann aber 2001. Bis 2640 wird also die Aufführung von „As slow as possible“ dauern.

Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich die leere St. Burchardi-Kirche betrat. Ein leerer Raum, gekälkte Wände, keine Bänke, kein fester Fußboden aus Holz oder Stein. In der Mitte die eigentümliche Konstruktion, die Orgel. Und dann die andauernden zwei Töne, die damals zu hören waren. Nur eben diese beiden Töne, so lange ich mich in dieser ehemaligen Klosterkirche aufhielt. Dabei wurde mir bewusst: Ich höre jetzt Töne eines Orgelstücks, das erst in 630 Jahren zu Ende sein wird. Ich nehme an etwas teil, dessen Ende ich nicht miterleben werden, weil es weit über meine Lebenszeit hinausweist. Bei diesem Gedanken wurde ich ganz andächtig und demütig. Eine Frau, die neben der St. Burchardi-Kirche wohnte, erzählte mir mit großem Engagement viel Wissenswertes über dieses Kunstprojekt. 

Vergangene Tage wurde ich durch eine Reportage wieder auf ASLSP aufmerksam gemacht. 
As slow as possible – so langsam wie möglich. Wir befinden uns in einer schnelllebigen Zeit. Menschen stehen unter Zeitdruck, hetzen und eilen, haben keine Zeit. 

Die aktuelle Situation drängt den Menschen durch die Einschränkung von Kontakten, von persönlichen Begegnungen und dem Wegfall von Events und Veranstaltungen – gerade im Freizeitbereich - zu Verlangsamung, zur Entschleunigung. Diese entschleunigte Lebensweise kann zu einer bewussteren Wahrnehmung des eigenen Lebens führen, zu mehr Aufmerksamkeit für die einzelnen Dinge. – So wie ich damals den beiden Tönen lauschte. 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie dieser entschleunigten Zeit Gutes abgewinnen können.

Ihr
Rafael van Straelen
Veröffentlicht: 07.11.2020



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