Impuls am Abend - Mit den Augen eines Kindes denken

„Ich versuche mit den Augen eines Kindes zu denken.“ So sagte mir vor kurzem eine Erzieherin, mit der ich länger über die aktuelle Situation sprach: Die Corona-Pandemie, die für alle Menschen, bis hinein in die Familien und Generationen, Einschränkungen mit sich bringt. Sie erzählte, wie sie versuche ihren Enkelkindern zu erklären, weshalb diese nicht bei ihr auf dem Schoß sitzen dürften, weshalb sie sie nicht besuchen dürften, weshalb sie zurzeit kein Buch miteinander lesen könnten, u.v.m. Als Erklärung, warum sie in dieser Art und Weise davon spreche, äußerte sie: „Ich versuche mit den Augen eines Kindes zu denken.“ Kaum hatte sie dies gesagt, hielt sie inne und sinnierte darüber, ob man dies so sagen könne. Ob dieser Satz überhaupt einen Sinn habe. Ich sagte ihr: Ungewöhnlich formuliert, aber es stimme. Ich kann mit den Augen eines Kindes denken, Worte finden und Wahrheiten entdecken. Mir kamen dazu zwei Beispiele in den Sinn:

Als junger Kaplan sollte ich einer Grundschulklasse bei einem Kirchenbesuch den Schülerinnen und Schülern den Kreuzweg zeigen und erklären. Ich dachte, die Kinder könnten wohl zu jeder Station einen Titel vorschlagen. Weit gefehlt. Da Kinder in dem Alter kaum das Wort „Titel“ kennen, blieben die Antworten aus. Als ich aber nach einer „Überschrift“ fragte, sprudelten nur so die Vorschläge.

Eine Großmutter, die den Tod ihres Mannes betrauerte, erzählte mir von einem Besuch mit ihrer Enkelin am Grab des Verstorbenen. Sie hatte die Enkelin zum Verweilen am Grab mit dem Hinweis animiert, dem Opa doch noch ein paar Blumen aufs Grab zustellen, dann würde dieser sich freuen. Darauf habe die Enkelin gemeint: Aber Oma: Opa braucht doch keine Blumen! Der ist doch nicht im Grab, sondern im Himmel!

Kinder sind einfach großartig! Sie haben eine ganz eigene Art, uns Erwachsenen zu helfen, Dinge zu verstehen. Manchmal sind sie Weltmeister im Erklären: Kurz und knapp, mit wenigen Worten bringen sie es treffsicher auf den Punkt! 

Da heißt es in unserem Glauben: Gott hat uns als seine geliebten Kinder angenommen. Als Kind Gottes die Welt sehen, wahrnehmen und denken… - Bei aller intellektuellen Redlichkeit wohl auch mit den Augen eines Kindes Gott denken.

Heute sage ich Gott „Danke“ für die Kinder dieser Welt; für die Kinder in unseren Kitas; in den Familien, die ich kenne oder mit denen ich befreundet bin; für die Kinder in den Schulen, in der Messdienergemeinschaft unserer Pfarrei; für alle Kinder, die mir helfen, mit ihren Augen die Welt und den Glauben zu denken. Und ich danke der Erzieherin für diesen, wie ich meine, genialen Satz.

Rafael van Straelen
Pfarrer
Veröffentlicht: 06.04.2020



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