Pfarreirat Liebfrauen schreibt Bischof Felix Genn einen Brief

In seiner letzten Sitzung, die am 23. Februar 2022 stattfand, haben die Mitglieder des Pfarreirates Liebfrauen sich engagiert und ausführlich über die aktuellen Themen der gegenwärtigen kirchlichen Situation ausgetauscht. Die Themen waren der sexuelle Missbrauch in der katholischen Kirche und dessen Aufarbeitung, die hohe Zahl der Kirchenaustritte, die Aktion „#outinchurch“ und das erlittene Leid und die Angst der queeren Menschen im Dienst der katholischen Kirche, der Synodale Weg und die Weltsynode sowie die Aktion „Spaziergänger“, die an zwei Abenden in der Woche in unserer Stadt stattfindet.

Durch den Austausch wurde deutlich, dass die Lage der katholischen Kirche den Gremienmitgliedern sehr nahe geht, und dass die aktuelle Situation sie als engagierte und kirchlich geprägte Christinnen und Christen bedrückt und belastet. Als ein Gremium überzeugter Katholiken hinterfragt der Pfarreirat mittlerweile deutlich die Verfasstheit unserer Kirche und das Agieren auf den Leitungsebenen, insbesondere das der Bischöfe. Die engagierten Frauen und Männer sehen sich, wie wohl viele andere Gemeindemitglieder auch, zunehmend kritischen Anfragen Anderer zum Engagement in der Kirche ausgesetzt. Diese Situation erschwert das Denken und Handeln für das konkrete kirchliche Leben in der Pfarrei Liebfrauen.

Die Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für das Erzbistum München-Freising und die Reaktionen darauf haben nicht nur sprachlos gemacht und erschüttert, sondern zugleich auch daran denken lassen, was uns, die wir eine betroffene Pfarrei im Bistum sind, erwartet, wenn im Juni 2022 die Missbrauchsstudie für das Bistum Münster veröffentlicht wird. Der Pfarreirat befürchtet, dass daraufhin einmal mehr viele Menschen erneut erschüttert werden, das Pfarreileben gelähmt wird und viele Gläubige unserem kirchlichen Leben vor Ort den Rücken kehren. Seit Juni 2019 ist bekannt, dass der verstorbene Pfarrer Theo Wehren, der über drei Jahrzehnte in der Gemeinde St. Helena in Barlo Pfarrer war, ein rechtskräftig verurteilter Missbrauchstäter gewesen ist, der trotz der Verurteilung u. a. weiterhin in der Kinder- und Jugendarbeit tätig war. Die Mitglieder des Pfarreirates sehen mit der Veröffentlichung der Münsteraner Missbrauchsstudie die Aufgabe auf sich zukommen, mit den Menschen in der Pfarrei, gerade in Barlo, Wege zu suchen, wie die Gemeindemitglieder und sie selbst mit dieser erschreckenden Tatsache leben und umgehen können. Es ist davon auszugehen, dass das Gemeindeleben erneut extrem belastet wird.

Seit der Veröffentlichung im Jahr 2019 * arbeitet eine Arbeitsgruppe an Projekten, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierte Gewalt anbieten. So fanden ein Gesprächsabend mit einer Betroffenen und ein Kinoabend mit dem Film „Gelobt sei Gott“ statt. Ebenso gehört der Podcast „Hör mal!“ dazu, in dem Literatur zum Thema sexualisierte Gewalt vorgestellt wurde, die auch in den Büchereien St. Helena und St. Martin zur Ausleihe vorhanden ist.
Der Pfarreirat hat die Erwartung geäußert, dass die von Missbrauchstätern betroffenen Pfarreien im Bistum auch bei der Bistumsleitung im Blick sind und Begleitung und Unterstützung erhalten, wenn im Juni die Veröffentlichung der Münsteraner Studie erfolgt. * Gemeindeversammlung,

Die hohe Zahl der Kirchenaustritte ist in unserer Stadt Bocholt und in unserer Pfarrei u. a. durch die Lokalpresse ein großes Thema geworden. Die Termine beim Amtsgericht Bocholt sind stets schnell ausgebucht. (Das BBV berichtete.) Die Frauen und Männer im Pfarreirat nehmen aus vielen Gesprächen mit anderen Menschen wahr, dass deren Austritt aus der Kirche ein Protest gegen die Kirchenleitungen und deren weltfremder und lebensferner Umgang mit den Menschen unserer Tage ist. Deutlich benannt wurde in der Sitzung auch die Ohnmacht, diesem Trend der Kirchenaustritte mit einem noch so engagierten Einsatz für ein einladendes, offenes und lebensbejahendes Gemeindeleben entgegenwirken zu können. Der Pfarreirat erwartet seitens der Bistumsleitung in der Sicht auf die aus der Kirche Ausgetretenen keinen sanktionierenden Umgang, sondern eine Brücken bauende und Türen öffnende Haltung. Diese Haltung hat seinerzeit Pfarrer van Straelen in seinem Statement am 5. Februar 2022 bereits geäußert.

Im Gespräch über die Aktion „#outinchurch“ wurde deutlich die Betroffenheit geäußert, die diese Reportage hervorgerufen hat; vor allem das persönliche Schicksal der Menschen, die nicht heterosexuell sind und aus Angst vor Sanktionen ihre Sexualität und Beziehung nur im Verborgenen leben können. Die Gremienmitglieder teilten mit, wie erschreckend es für sie sei, dass die offizielle Kirche auch heute noch mit dem Instrument der Angst die Freiheit und das Leben der Menschen beeinträchtigt. „In unserer Pfarrei Liebfrauen handeln wir anders! Bei uns sind alle Menschen in der Pfarrei willkommen und dürfen in unserer Pfarrei arbeiten, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Lebensform.“ So die Haltung von Pfarreirat und Kirchenvorstand (Siehe Beschluss Kirchenvorstand). Das gilt bei uns auch für wiederverheiratet Geschiedene.

Mit Blick auf den Synodalen Weg und die Weltsynode und der Themen, die dort besprochen und neu bewertet werden, wurde in der Sitzung ganz klar die Erwartung geäußert, dass es zu einer größeren und weitreichenderen geteilten Verantwortung in der Leitung der Kirche (Bistum und Pfarrei) wie auch in der Feier und Spendung der Sakramente. Der Pfarreirat unterstützt nachdrücklich auch den Wunsch nach stärkerer Beteiligung der Frauen in den Diensten und Ämtern der Kirche.

„Spazieren Sie bitte vorsichtig! Mit Abstand! Mit Maske! Möglichst geimpft! Und nicht am rechten Rand!Mit Blick auf die Aktion „Spaziergänger“, von der die Gremien der Pfarrei sich deutlich distanzieren, hat der Pfarreirat zusammen mit dem Kirchenvorstand eine Stellungnahme auf den Weg gebracht, die als Plakat in Form eines Ortseingangsschildes an der Liebfrauenkirche zu sehen ist: „Spazieren Sie bitte vorsichtig! Mit Abstand! Mit Maske! Möglichst geimpft! Und nicht am rechten Rand!“ (Die Idee stammt von der Stadtkirche Recklinghausen.)

Der Pfarreirat hat diese Themen und seine Haltung dazu in einem Brief dem Bischof von Münster Dr. Felix Genn mitgeteilt. Zugleich auch den Wunsch geäußert, dass Bischof Genn, ähnlich wie der Bischof von Essen Franz-Josef Overbeck, mutig und klar nach außen hin in die Öffentlichkeit kommuniziert, dass auch für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im pastoralen Dienst künftig die sexuelle Orientierung und Lebensform keine Rolle spielen, und dass wiederverheiratet Geschiedene mit ihrer Lebensgeschichte willkommen sind.
Veröffentlicht: 26.03.2022


 


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