Impuls am Abend - Ich bleibe (7)

In der 7. Begründung für ihr Verbleiben in der Kirche spricht Birthe Mühlhoff über ihren Glauben. Es kommt vor, dass Leute sie zu ihrem Glauben beglückwünschen, weil er für sie eine große Kraftquelle sein muss und es toll ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Das irritiert sie. Denn mit der Mehrheit der Menschen in dieser Gemeinschaft hat sie gar nicht viel gemein; häufig teilt sie ihre Ansichten keineswegs. Auch ist der Glaube für sie keine Kraftquelle, sondern eher eine unablässige Quelle der Verunsicherung. Der Glaube konfrontiert sie mit Menschen und theologischen Glaubenssätzen, die sie sich nicht ausgesucht hat, sondern die sie herausfordern. Sie schreibt: „Glauben heißt eben nicht, frei von Zweifeln zu sein, im Gegenteil: Ich gehe jeden Abend mit dem Gedanken zu Bett, dass ich vielleicht auf dem Holzweg bin … Es ist eine produktive Verunsicherung.“ Aus dieser Verunsicherung können Dinge entstehen wie Demut und Nächstenliebe. Das sind zwar altmodische Namen, aber es gibt noch keinen Ersatz für sie.
 
Ich stimme der Aussage von Birthe Mühlhoff, dass der Glaube nicht frei ist von Zweifeln und dass sie eine produktive Verunsicherung sind, ausdrücklich zu. Glauben besteht nicht im Für-wahr-Halten von (auswendig gelernten) Sätzen, sondern ist das Vertrauen, dass es Gott gibt und er uns liebend zugetan ist. Es geht um eine Beziehung. Ein solcher Glaube ist nicht frei von Zweifeln und Fragen. Er kann sich ändern, stärker und schwächer werden und auch ganz verschwinden. Darin ist auch seine Lebendigkeit und Produktivität begründet. Wer sich absolut sicher ist und nicht zweifelt, sucht nicht mehr und wird leicht selbstsicher. Fundamentalisten sind so. Wer aber mit einem Glauben, der auch Fragen und Zweifel kennt, unterwegs ist, kann demütig anerkennen, dass für ihn nicht alles sicher und fertig ist; er kann dann auch anderen Menschen mit Verständnis und Liebe begegnen.
 
Frau Mühlhoff sagt, dass der Glaube für sie keine Kraftquelle ist. Das bedauere ich. Ich begegne immer wieder Menschen, die besonders in schweren Situationen, wie dem Tod eines lieben Menschen, sagen: „Wenn ich keinen Glauben hätte, müsste ich verzweifeln“. Die Menschen, die Birthe Mühlhoff zu ihrem Glauben beglückwünschen sehen das offensichtlich ähnlich. Wenn sie ihren Glauben trotz aller Zweifel auch als Quelle der Kraft und Freude erleben könnte, wäre das ein weiterer Grund zu sagen: „Ich bleibe“!
 
Ich wünsche Ihnen, dass der Glaube mit seinen Zweifeln für Sie eine Quelle der Freude und Kraft ist.
 
 
Ihr Hans Döink
 
Veröffentlicht: 04.05.2021



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