Impuls am Abend - Ich bleibe (6)

Bei dem 6. Grund, den die Schriftstellerin Birthe Mühlhoff für ihr Bleiben in der Kirche nennt, führt sie an, dass die Kirche ein lebendiger Austausch mit der Vergangenheit ist. Sie liest die Schriften der Wüstenväter und anderer alter und neuerer Autoren nicht vornehmlich aus historischem Interesse, sondern weil sie davon ausgeht, dass sie von einem Menschen, der vor mehr als tausend Jahren gelebt hat, tatsächlich noch etwas lernen kann. Im Gespräch über den Glauben spielt der zeitliche Abstand und der Tod, der uns trennt, eine geringfügige Rolle.
 
Dem kann ich gut zustimmen. In der Tat enthält die kirchliche Tradition eine überreiche Fülle von Glaubenszeugnissen der Literatur, der Musik und der bildenden Kunst. Man muss sie allerdings in ihrem jeweiligen historischen Kontext sehen und deuten.
 
Frau Mühlhoff misstraut ihrem eigenen persönlichen Erfahrungshorizont. Sie hält ihn „transzendent für unzureichend“. Was die Autorin mit „transzendent“ in diesem Zusammenhang sagen will, verstehe ich nicht. Vielleicht will sie sagen, dass sie den eigenen Erfahrungshorizont in Bezug auf die Transzendenz für unzureichend hält. Das halte ich für richtig. Gott kommt in unserer Welt nicht vor, wie alles andere vorkommt. Gott ist transzendent und mit unseren Sinnen und unserem Verstand nicht zu erfassen. „Will man sich Gott annähern, dann am besten im Zuge eines Tauchgangs durch die Fülle der Erfahrungen anderer Menschen“, das halte ich für eine richtige Folgerung. Unklar ist mir die Fortsetzung des Satzes: „um das Meer der menschlichen Unwissenheit zu bestaunen.“ Ist das für sie der Sinn des Tauchgangs oder die Folge?
 
Gegen Ende der 6. Begründung schreibt Birthe Mühlhoff, dass man zum Lesen eines Buches die Kirche nicht braucht, aber zum Glück sei die Kirche auch ein lebendiger Austausch von lebendigen Menschen. Das ist sehr wahr. Sie spricht aber dann nur noch davon, dass sie sonst wohl nicht herausgefunden hätte, dass ein rumänischer Außenminister ein großartiges Buch über Engel geschrieben hat. Das Buch hat ihr gezeigt, dass sie sich die Frage, was Engel sind, gar nicht gestellt hatte. Erschöpft sich der lebendige Austausch in der Kirche auf Buchtipps? Besprechungen dieses Buches (Andrei Plesu, Das Schweigen der Engel) hätte sie schon 2007 in der Neuen Zürcher Zeitung, in der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung lesen können. Als Grund, nicht aus der Kirche auszutreten, reicht ein Buchtipp meiner Meinung nach nicht.
 
Ich teile die Auffassung von Frau Mühlhoff, dass in der Kirche ein lebendiger Austausch mit der Vergangenheit möglich ist und wir daraus etwas für unseren Glauben lernen können. Sie hat auch recht damit, dem eigenen Erfahrungshorizont zu misstrauen und dass wir die Fülle der Erfahrungen anderer Menschen brauchen. Ein Austausch darüber ist für mich ein ganz wesentliches Element des kirchlichen Lebens. Es ist der Sinn von Gemeinde, vom eigenen Glauben Zeugnis zu geben und das Zeugnis anderer anzunehmen. Ich bin dankbar dafür, dass das sogar auch unter Corona-Bedingungen möglich ist.
 
Ich wünsche Ihnen viele solcher Erfahrungen.
 
Ihr Hans Döink
 
Veröffentlicht: 04.05.2021



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