Impuls am Abend - Traditionen häuten

„Also: Das mit der Tradition: lass uns da mal ‘nen Deckel drauf machen und lieber nach vorne gucken. Was nützt der alte Kram, wenn niemand damit glücklich wird.“ Eine kurze Sequenz aus einem Fernsehfilm. Eine Familiengeschichte. Die Familienmitglieder Großvater, Vater, Sohn und Tochter treffen sich nach langer Zeit wieder. Oma und Ehefrau/Mutter sind verstorben. In den letzten Jahren hat man sich auseinander gelebt. Kaum Kontakt gehabt. Nun ist man wieder zusammen. Jedes Familienmitglied ist gekommen mit einem persönlichen Anliegen, einer Mitteilung für die anderen der Familie. Über allem steht das Familienerbe: Der traditionsreiche Familienbetrieb bestehend aus Metzgerei und Gasthof, seit über 200 Jahren. Das gebetsmühlenartig vorgetragene Argument, die Tradition, also die Metzgerei, muss erhalten bleiben, macht niemanden der Familienmitglieder glücklich, weil jede und jeder sich schon auf eigene Weise von ihr entfremdet hat. Und dann der Entschluss von Vater und Sohn: Das mit der Tradition lassen wir, lieber nach vorne gucken.

Es kann niemals darum gehen, eine Tradition nur um der Tradition willen zu erhalten. Und nicht jede Gepflogenheit ist schon eine Tradition. „Traditionen häuten“ – So las ich einmal auf einer Spruchkarte, die einen gefällten Baum mit vielen Jahresringen zeigte. Traditionen sind nicht um ihrer selbst willen zu erhalten. Vielmehr gilt es zu häuten, herauszuschälen, was die Traditionen in ihrem Kern überliefern. Das gilt es zu bewahren, in dem es immer wieder ins Heute übertragen, übersetzt wird.

Wie wichtig ist dies für Gesellschaft und Kirche, damit die Ereignisse nicht zu Folklore und Heimatmuseum verkommen. Nach dem Motto: Schön anzusehen, aber kein Bezug zu Heute.

Ich habe den Eindruck, dass auch unser Kirche Sein angesichts der Corona-Zeit vor diese Herausforderung gestellt ist: Manches Traditionelle wird wegbrechen oder gar sterben, weil dessen Inhalt sich schon lange überlebt hat. Anderes wird in der gewohnten, traditionellen Weise nicht mehr gehen. Entweder fällt dies aus, dann geht es ganz verloren, oder es wird der Inhalt, der Kern herausgeschält und zugleich kreativ danach geschaut, wie dies in neuen Formen gelebt und gefeiert werden kann. Letzteres lockt mich persönlich mehr. Zum Hände in den Schoß legen, bin ich – ehrlich gesagt - nicht geboren.

Die Traditionen häuten und nach vorne gucken – da bin ich dabei. Sie auch?

Rafael van Straelen

„Gott geht mit uns auf allen unsern Wegen.
Durch Raum und Zeit begleitet uns sein Geist.
All unser Tun steht unter seinem Segen.
Er ist das Wort, das Zukunft uns verheißt.
Gestern und heute, heute und morgen:
In jedem Leben ist Gottes Geist verborgen.
Gestern und heute, heute und morgen:
In Gottes großer Liebe bleiben wir für alle Zeit geborgen.“
(Gotteslob 843)

 
Veröffentlicht: 24.05.2020



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