„Jesus, denk an mich…“ - Eine Betrachtung am Karfreitag

„Jesus, denk an mich…“
Eine Betrachtung am Karfreitag


Jahrhundertelang haben Christen aus Bocholt in der Karwoche den Kreuzberg im Osten der Stadt besucht. Besonders eindrucksvoll muss es am Karfreitag 1936 gewesen sein. 12 000 Menschen, d.h. 1/3 der damaligen Bevölkerung, zog der uralten Tradition folgend von der St.-Georg-Kirche in einer Prozession nach Osten zum Kreuzberg, um dort unter den Eichen der Karfreitagspredigt zuzuhören. Dabei wurde ein übergroßes von 16 Männern getragenes Kreuz mitgeführt und in der Nachbarschaft des Kreuzberges an der Stelle des künftigen Altars der Hl.-Kreuz-Kirche aufgerichtet.

Ganz anders heute, menschenleer ist der Platz am Kreuzberg und das Eichenwäldchen in dieser Karwoche. Wie gut, dass wenigstens auf der Liebfrauen-Homepage die Karwoche am Palmsonntag mit einem Foto dieser altehrwürdigen Stätte beginnt, denke ich, als ich es nach dem Palmsonntag 2020 erblicke.

Am Palmsonntag –Morgen mache ich mich allein auf den Weg zum Kreuzberg. Wo im letzten Jahr noch Kindergartenkinder mit den Messbesuchern „Jesus zieht in Jerusalem ein, Hosianna“ sangen, sind jetzt Lichter platziert und ich schaue mir die drei so ganz unterschiedlichen Figuren an den drei Kreuzen an. Besonders ausdrucksstark erscheint mir im Kontrast zum rechten Schächer der links von Jesus gekreuzigte Verbrecher. Obwohl er fixiert ist, schlägt er sich mit der Faust auf die Brust und blickt zugleich leid- und hoffnungsvoll auf den sterbenden Jesus in der Mitte: „Jesus, denk an mich …“ (Lk 23,42).

Mir fallen all die Menschen ein, die in den Krankenhäusern ans Bett gefesselt sind;
die Kinder, die noch nicht verstehen, warum ihr Bewegungsdrang so nachhaltig beschnitten wird und sie ihre Großeltern und Spielkameraden nicht treffen dürfen;
die Eltern, die nicht wissen, wie sie Home-Office und Kinderbetreuung vereinbaren sollen;
die Geschäftsleute und ihre Beschäftigten, die sich um ihre Existenz und um ihren Arbeitsplatz sorgen;
und nicht zuletzt die vielen Menschen, die nun in Seniorenheimen und Krankenhäusern, als Zulieferer und in den Lebensmittelgeschäften ihren Dienst an den Mitmenschen versehen und gleichzeitig soziale Distanz üben sollen.

Unser Leben ist ein zerbrechliches Geschenk, wir Menschen sind sterbliche Wesen. Daran werden wir in diesen Tagen eindrücklich durch Kontaktsperren und Sondersendungen erinnert. Der Blick auf den Schächer kann uns Hoffnung geben, dass Gott immer an uns denkt und in Jesus besonders den Leidenden nah ist. Den Kranken hat er Gesundheit gebracht, den Vereinsamten neue Gemeinschaft ermöglicht und dem sterbenden Schächer das Paradies. 
Die Kar- und Ostertage rufen dies auch in diesem Jahr in Erinnerung, auch wenn sie so ganz anders gefeiert werden als sonst.

Johannes Nelskamp
Lektor und Messdiener in der Pfarrei Liebfrauen
Veröffentlicht: 09.04.2020



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