Predigtreihe -Warum bin ich auf der Welt?-

Während der Sommerferien wird die Predigtreihe Warum bin ich auf der Welt? vorgetragen. An jedem Samstag wird auf dieser Seite auch die aktuelle Antwort des Wochenendes veröffentlicht. Trotzdem sollten sie die Gottesdienste nicht meiden.

1. Sonntag der Sommerferien

Sehnsucht nach Gewißheit
Von Michael Albus

Füher hieß die Frage, die erste im Kleinen Katechismus: "Wozu sind wir auf Erden?" Die Antwort mußten wir auswendig lernen: "Wir sind auf Erden, daß wir Gottes heiligen Willen tun und dadurch in den Himmel kommen."
Die Frage hat noch viele andere Dimensionen. Und sie ist eine offene Frage, die ihr Geheimnis vielleicht erst wirklich preisgibt, wenn ich für immer gehe, in eine andere Welt.
Faktum ist und bleibt: Ich bin da in der Welt. Ich bin ungefragt hereingekommen und werde ungefragt wieder verschwinden müssen. Dieses "ungefragt" verschärft die Frage.
Mein Glaube, voller Zweifel und mit einer großen Sehnsucht nach Gewißheit, gibt mir Hinweise, daß da einer gewesen sein muß, der Ja gesagt hat zu mir - mit allen Ecken und Kanten, mit allen Schnitt- und Bruchstellen. Aber sicher weiß ich es nicht. Sonst wäre es Ja auch kein Glaube mehr. Ich habe eine unüberwindbare Abneigung gegen religiöse Alleserklärer, die schnell eine Antwort wissen, die Instant-Theologen, die schnell zu Aufgüssen und Taufgüssen bereit sind.
Wozu ich auf der Welt bin? - Das entscheidet sich jeden Tag neu. Ich suche immer danach. Und manchmal kannich sagen: um dies und das zu gestalten, um zu kämpfen, zu lieben, mitzuleiden, damit etwas ein wenig besser wird auf dieser Welt, das mich dazu bewegen könnte, eine hinreichende Antwort auf die Frage zu finden - für mich und für andere. Bevor es aber dazu kommt, halte ich mir, uns Menschen, und dem, den wir Gott nennen, einiges vor: die Kinder vor allem, die unschuldig leiden, die Straßenkinder von Bogota zum Beispiel, die Kinder auf den Krebsstationen, eines unserer Kinder, das - ungefragt - aus der Welt verschwinden mußte durch einen tödlichen Verkehrsunfall. Aber auch die erwachsenen Bösewichte, die am Leiden der Kinder aktiv beteiligt sind. Dann aber auch wieder und dankbar die Wenigen, allzu Wenigen, die helfen, helfen, helfen - oft gegen alle Hoffnungen, oft verzweifelt. Wenn ich Ihre Namen mit dem Mund und im Herzen ausspreche, vor mich hinsage, dann habe ich so etwas wie mindestens einige Antworten auf die Frage, wozu ich auf der Welt bin.

Michael Albus, Dr. theol., 1942 in Bühl/Baden geboren, studierte Germanistik und katholische Theologie. Er wurde 1976 Leiter der Redaktion "Kirche und Leben" beim ZDF. 1985 aber nimmt er die Leitung der Hauptredaktion ,Kinder, Jugend und Familie" im ZDF. Michael Albus doziert heute als Lehrbeauftragter für Medienpädagogik an der Universität Freiburg im Breisgau.




2. Sonntag der Sommerferien

Herz des Himmels

Zunächst bin ich auf der Welt. Ich lebe, habe Anteil am Leben selbst und bin Teil des Lebens. Gleichzeitig weiß ich, daß ich mich nicht selbst in dieses Leben gesetzt habe. Ich verdanke es der "Sehnsucht des Lebens nach sich selbst" (Khalil Gibran). Ich bin lebendig und freue mich daran: in bestimmten Augenblicken mit allen Fasern meines Seins, trunken voll Freude am Leben selbst. Gleichzeitig erlebe ich alles Leben als gefährdet, zerbrechlich, begrenzt - mein eigenes und das um mich herum. Das macht mir angst, beeinflußt mich bewußt und wohl noch viel mehr unbewußt. Ich suche nach Sicherheit, versuche möglichst festzuhalten. Meine tiefste Sehnsucht also ist: Leben zu erspüren, das über alle Begrenzung hinaus Bestand hat.
Aber - auch die eigene Erfahrung: Gerade im Eintauchen in die Grenz-Augenblicke des Lebens ist Gewißheit da. Es gibt Leben, das unendlich viel größer ist als alles, was ich gewöhnlich wahrnehme. Es ist der Gott des Lebens, der sich in mich - in jedem Menschen - in allem Lebendigen seinen "Ort" gesucht hat.
Rose Ausländer nennt es in einem ihrer Gedichte mit dem Titel "Mysterium" so: ,,Die Seele der Dinge / läßt mich ahnen die Eigenheiten unendlicher Welten/ Beklommen / such ich das Antlitz eines jeden Dinges / und finde in jedem / ein Mysterium // Geheimnisse reden zu mir / eine lebendige Sprache // Ich höre das Herz des Himmels / pochen / in meinem Herzen."
Das "Herz des Himmels"- Gott - zu suchen und zu finden: meine Lebensaufgabe. Mich auf den Weg zu machen zu meinem eigenen inneren, zu mir selbst und gleichzeitig auf dem Weg zu den Menschen zu sein, die mit mir leben, mir begegnen, Tag für Tag. In jeder and jedem das "Herz des Himmels" zu finden, das ist mein Weg in dieser Welt. Aber: Gerade auf diesem Weg finde ich das "Herz des Himmels" oft und oft verstellt, das Antliz Gottes entstellt durch den Mißbrauch von Macht, durch Gewalt und von Menschen geübte und aufrechterhaltene Ungerechtigkeiten.
Ein zweites Gedicht von Rose Ausländer drückt für mich aus, was mich zum Handeln in dieser Welt befähigt und bevollmächtigt: "Ich habe keinen Respekt / vor dem Wort Gott // Habe großen Respekt / vor dem Wort / das mich erschuf / damit ich Gott helfe / die Welt zu erschaffen." Mit wachen Augen und Ohren, mit einfühlsamem Herzen diese Welt zu gestalten, als Gottes Mitarbeiterin, mit seinem "pochenden Herzen in mir". Deshalb kann ich mich immer wieder einsetzen, mich zur Verfügung stellen für Auf gaben, die - unsere Welt gestaltend - Menschen ein Mehr an Leben ermöglichen. Ich tue dies besonders auch an der Seite von Frauen in unserer Kirche und Gesellschaft, in unserer Welt. Und gleichzeitig entdecke ich immer wieder auch das Paradoxon unseres christlichen Glaubens: Trotz Einsatzes aller Kräfte, trotz Einsatzes von Zeit und Energien, von Phantasie und Kreativität gerate ich an die Grenze alles Machbaren, erfahre ich mich ohnmächtig angesichts von Mächten dieser Welt. Ich erlebe mich an der Seite eines Gottes, der uns Menschen mit seiner Ebenbildlichkeit ausgestattet hat, und dadurch auch ein "Gott der Ohnmacht" geworden ist. Diese Ohnmacht auszuhalten: göttliche Herausforderung!

Magdalena Bogner, geboren 1947, ist seit 1997 Präsidentin der Frauengemeinschaft Deutschlands. Die in der Oberpfalz lebende Katholikin studierte Teologie und Germanistik fürs Lehramt, unterrichtete an verschiedenen Schularten und war immer auch in der kirchlichen Erwachsenenbildung engagiert, unter anderem auch für Basisgemeinden in Recife / Brasilien.


3. Sonntag der Sommerferien

Weil es Abseits kein Glück gibt
Von Alfred Grosser

Vielleicht ist es, weil ich knapp neun Jahre alt war, als mein Vater wenige Wochen nach unserer Emigration gestorben ist, aber seit früher Jugend stehe ich ständig vor derselben wertbezogenen Frage: Wie verbringe ich die gestern wie heute kurze Zeitspanne, die mich von meinem Tod trennt, der das Ende meines Ichs, meiner Person bedeutet?
Erste Antwort: Indem ich keine Zeit verliere mit Unbedeuten dem, wie Mode, Bedauern, Neid, Erbitterung. Zweite Antwort: Indem ich meine - unverdiente - Gabe, in Freude zu leben, mein trotz allem vielfaches Glück benutze, um Anderen zu mehr Freude zu verhelfen, das heißt unter anderem helfen, sich von Unverständnis und Haß zu befreien.
Also Moralpädagoge sein, aufklärend wirken - und gerade darin neue Freuden, neue Beglückung finden. Als Neunzehnjähriger notierte ich (natürlich auf französisch) in einem Tagebuch: "Ich werde nie ein demagogischer Redner sein, denn ich werde nie die Instinkte meiner Zuhörer ansprechen. Nur ihre Vernunft und ihren sens ethique, ihren Sinn für Moral." Ich behaupte unbescheiden, dieser Entscheidung treu geblieben zu sein. Nun bald 74 darf ich dem Tod noch ruhiger entgegensehen. Ich bin sicher, daß ich, sei es auch nur ein ganz klein wenig, zur moralischen Veränderung von Menschen, Gruppen, Institutionen beigetragen habe.
Wenige Monate vor seiner Verhaftung, Verurtellung und Hinrichtung schrieb Hans Scholl in einem Brief: "Ich kann nicht abseits stehen, weil es für mich abseits kein Glück gibt, weil es ohne Wahrheit kein Glück gibt." Ich würde eher sagen "ohne Wahrheitssuche", aber seine Formulierung bewundere ich. Der Sinn meines Lebens ist der, den ich ihm gegeben habe, was voraussetzt, daß alles fortzufallen hat, was diesem Sinn in Wege steht. Dazu brauche ich weder einen Gott, noch eine Vorsehung, wenn ich auch ständig mit echten Christen zusammengewirkt habe, die wie ich versuchen, ihr Leben nach denselben Grundwerten zu gestalten.

Alfred Grosser, geb. 1925 in Frankfurt, verließ mit seiner Familie Deutschland 1933 und ging nach Paris, wo er 1937 französischer Staatsbürger wurde; international hochangesehener Politikwissenschaftler und Schriftsteller.



Um zu Leben
von Roger de Weck

Danke für Ihre Anfrage. Darf ich Ihre Frage sehr kurz beantworten. Wozu bin ich auf der Welt? Um zu leben, das ist so schön, und um andere zu lieben, das ist mindestens so schön.

Roger de Weck, geboren 1953 im schweizerischen Fribourg, Studium in St. Gallen, Journalist und Publizist, war Chefredakteur verschiedener Zeitungen, zuletzt der "Zeit".



4. Sonntag der Sommerferien

Inmitten des Vergänglichen
Von Wolfgang Frühwald

Es gibt ein berühmtes Gedicht von Gottfried Benn, in dem die Frage nach dem Sinn des Lebens, die alte Kinderfrage nach dem "Warum?" als der Grund aller Leiden der mit Bewußtsein und Erinnerung begabten Menschen angegeben wird: "Durch so viel Formen geschritten, / durch ich und Wir und Du, / doch alles blieb erlitten / durch die ewige Frage: wozu?" Das "fernbestimmte: Du mußt", von dem der Dichter in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts spricht, das ein Zufall ebenso sein könnte, eine grausame Laune der Natur, wie der Plan eines Schöpfers, der sich den Menschen zum Abbild und zum Ebenbild geschaffen hat, hat im Grunde schon ein Lyriker des achtzehnten Jahrhunderts beantwortet: Matthias Claudius, im Lied der Sternseherin Lise. In einer Zeit, in der das kosmische Erschrecken - vor der Einsamkeit des Menschen in der Weite des Alls - von den Menschen Besitz ergriffen hat (kein kleineres, eher ein größeres Erschrecken, als es Gottfried Benns von der modernen Evolutionstheorie geschärfter Blick in die Tiefe der Welt verrät), hat Claudius die Erfahrung einer einfachen Küchenmagd, nach dem mühsamen Tagewerk im Anblick des gestirnten Nachthimmels, über alle Spekulationen gelehrte: Untersuchung, über die Vorstellung der aus dem Nichts entstandenen und ins Nichts taumelnden Welt triumphieren lassen: "Ich sehe oft um Mitternacht, / Wenn ich mein Werk getan / Und niemand mehr im Hause wacht, / Die Stern am Himmel an. // Sie gehn da, da hin und her zerstreut; Als Lämmer auf der Flur; / In Rudeln auch, und aufgereiht, / Wie Perlen an der Schnur; // Und funkeln alle weit und breit, / Und funkeln rein und schön; / Ich seh die große Herrlichkeit, / Und kann mich satt nicht sehn ... // Dann saget unterm Himmelszelt, / Mein Herz mir in der Brust: / Es gibt was Bessers in der Welt / Als all ihr Schmerz und Lust. / Ich werf mich auf mein Lager hin, / Und liege lange wach, / Und suche es in meinem Sinn, / Und sehne mich danach." Die einfache Hausmagd also erfährt im Anblick der Sterne am Himmel, was den Weisen verborgen und den Gelehrten ein Rätsel, den einfachen Herzen aber geoffenbart ist: daß der Mensch nicht aufgeht in den Erhaltensbedingungen seiner Existenz, daß Arbeit, Mühsal, Lebenslast und -lust nicht alles ist, was den Menschen erhält und weshalb er "da" ist.
Lise spricht in ihrer Sprache nur das aus, was Immanuel Kannt, der Königsberger Philosoph, um die gleiche Zeit in gelehrter Sprache mitgeteilt hat: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im Überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz."
Beide Texte, der des Dichters und der des Philosophen, haben mich durch lange Jahre meines Lebens begleitet und geleitet, weil sie in je unterschiedlicher Sprache das gleiche sagen, daß es Besseres gibt als Schmerz und Lust der Welt, und daß vielleicht der Weg zu diesem Besseren, die Sehnsucht, schon das Ziel ist. Die Antwort auf die erste (hier gestellte) Katechismusfrage, die sich mir von Kindheit an eingeprägt hat, enthält in der Formel, daß ich "im Dienste Gottes mein Heil und meine Seligkeit finden soll, den Hinweis, daß Glück und Heil bedeuten, andere glücklich zu machen. Dies wird nicht jeden Tag gelingen, manchen vielleicht nie, aber die Suche danach gibt dem Leben Halt.
Darin nämlich beruht der ganze Sinn des Lebens, daß mein Schöpfer mich in seine Hand geschrieben hat, so daß ich auf der Suche nach meinem Ursprung Menschen begegne, die mich auf dieser Suche begleiten, wie ich sie begleite, und die ihr Heil in meinem Glück wirken, wie ich mein Heil in ihrem wirke. Ob dies der Spekulation und der Gelehrsamkeit zugänglich ist, bezweifle ich. Der Erfahrung aber, der des Herzens wie der des Verstandes, ist dies zugänglich. Inmitten der Flucht des Vergänglichen also könnte es doch mehr geben als das Nichts und das von Schmerz und Lust gezeichnete Ich: Ich suche es in meinem Sinn und sehne mich danach.


Wolfgang Frühwad, geb. 1935, lehrte an der Universität München Neuere deutsche Literaturgeschichte, von 1992 bis 1997 war er Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft; unter anderem Herausgeber einer vielbändigen Ausgabe der Werke von Clemens Brentano.






5. Sonntag der Sommerferien

Gottes Schweigen aushalten

Von Bernhard Sutor

Welchem Katholiken aus meiner Generation fällt dazu nicht die Antwort auf die erste Frage des alten Katechismus ein? "Wir sind dazu auf Erden, daß wir den Willen Gottes tun und dadurch in den Himmel kommen." Alles klar! In der Kindheit brav gelernt, hat sie sogar gehalten. Aber warum und wie - das ist eine ganz innere Lebensgeschichte. An ihren Wendemarken stand nicht nur das fortwirkende Vorbild gläubiger Eltern, sondern auch die Hilfe überzeugender Lehrer und Seelenführer.
Als ich selbst meine ersten beruflichen Schritte tat, hieß es im damals neugefaßten Katechismus: "Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst ewig bei ihm zu leben." Diese Formel leuchtete mir eher ein, weil sie der inzwischen gewonnenen eigenen Einsicht in den Wegcharakter unseres Erkennens, Glaubens und Handelns entgegenkam. Die schmerzhafteste geistige und geistliche Erfahrung, die ich als junger Erwachsener machen mußte, war die, daß unser Erkennen Gottes immer bezweifelbares Stückwerk bleibt. Das wirft einen aus der Statik des Kinderglaubens in die Dynamik des Versuchs, den Willen Gottes in der je eigenen Lebenssituation zu erkennen. Folgerichtig bin ich hier nicht allgemein gefragt, wozu wir, sondern konkret, wozu ich auf der Welt bin.
Was Gott von mir will, das habe ich mehr und mehr zu erfahren geglaubt in den Talenten, die er mir mitgegeben hat, in den Mitmenschen, die mir begegneten, in den Aufgaben, die ich in Familie und Beruf, in Öffentlichkeit und Kirche als mir gestellt erkannte. Auch wenn all mein Tun Stückwerk bleibt, ist es doch tröstlich zu erfahren, daß der ständig gesuchte letzte Sinn meines Lebens nicht ein ganz anderer ist im Verhältnis zu dem, was ich in dieser Welt zu tun versuche, daß meine "Selbstverwirklichung" in dem Versuch bestehen muß, mein Selbst transzendierend, grenzüberschreitend in Bewegung zu bringen auf Mitmenschen und Daseinsaufgaben hin.
Freilich bleibt viel Vergeblichkeit zu ertragen, die aus eigenem Versagen wohl ebenso resultiert wie aus den "Verhältnissen". Es bleibt aber vor allem die absolute Transzendenz Gottes zu ertragen, sein Schweigen angesichts der Unendlichkeit der Räume, seine Verborgenheit in den Katastrophen unserer menschlichen Geschichte. Ich versuche, das zu ertragen im Vertrauen auf die Person Jesu Christi, auf ihre Einzigartigkeit in Gestalt, Wort und Tat, wie sie uns in der Schrift entgegentritt und als Bild des Vaters verkündet wird. Auch dies erkennen wir glaubend nur "wie in einem Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht". Für mich ist dies das kostbarste Wort der Schrift. Es enthüllt mir gleichnishaft, wozu ich auf der Welt bin.

Bernhard Sutor, Dr. phil, geboren 1930, Professor für Politikwissenschaften, ist seit 1969 Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken; war auch Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern. Er ist Gründungsmitglied des bayerischen Landesverbandes von "Donum Vitae".





6. Sonntag der Sommerferien

Trotz aller Wirren des Lebens

Von Hartmut Hentig

Die Frage nach dem Zweck meines Lebens. Ich kenne ihn nicht. Ich habe mir auch nie - weder im Rausch der Selbstentdeckung noch mit neidvollem Blick auf andere, noch unter Anleitung eines bestechenden Gedankens, noch gar aus Verzweiflung - eingebildet, ihn zu kennen. Ich vermisse ihn nicht. Und so reizt mich die hier gestellte Frage, darüber nachzudenken, warum sie mich nicht beschäftigt.
Daß ich gerne lebe, daß ich - nicht nur im Rückblick - meine, ein gutes Leben gehabt zu haben und deshalb nicht über Ursachen von Leid und Freud, von Gelingen und Scheitern (deren Maß eben jener Zweck ist) nachdenken mußte, ist eine mögliche, aber schon bei oberflächlicher Prüfung zu verwerfende Erklärung: Nichts hat mich - schon als Kind - mehr beschäftigt als, wie ich mit den Schwächen, die ich an mir wahrnahm, den Ansprüchen, die ich in mir hegte, den Wirkungen, die ich leider offenbar tat, in dieser Welt wurde bestehen können. "Bewährung" und die Furcht, in der entscheidenden Stunde zu versagen, waren ein unübersehbarer Bestandteil meiner seelischen "Chemie". Aber die hatte nie mit einem Zweck zu tun, den ich zu erfüllen gehabt hätte. Es gab immer nur die eigenen Ziele, die sich oft nach den Erwartungen anderer richteten, ebenso oft gegen sie, und die vor allem einer einigermaßen deutlichen Wahrnehmung der Welt - ihrer beglückenden und ihrer schrecklichen, demütigenden, schmerzlichen Möglichkeiten - entsprang. Mir war klargeworden: Ich kann glücklich werden. Ich muß nicht unterliegen. Es gibt Wechselfälle. Ich werde nie alles in der Hand haben.
Gestützt durch das, was erfahrene Menschen - Freunde, Dichter und Denker - mir sagten, und durch eine preußische wie eine amerikanische Erziehung doppelseitig gestärkt, habe ich daraus
ein Ethos, das heißt eine Lebenshaltung, gemacht. Sokratische Selbstprüfung, epikureische Ökonomie der Freuden, Kantsche Aufklärung und das Beispiel Jesu haben mich im Laufe von sieben Jahrzehnten größter Anfechtungen, Wirren, Versprechungen meinen Kurs finden lassen - so, daß ich eines anderen - durch wen eigentlich zu setzenden, von wem eigentlich einzufordernden? - Zwecks nicht bedurfte. Keine Religion, keine Natur, keine Geschichtsdeutung, kein Machthaber, kein Volk könnten ihn vorschreiben. Die es versuchten, haben sich blamiert.
Ja, Aufgaben - lohnende, notwendige, würdige - habe ich genug gefunden: als Bürger, als Freund, als Lehrer, als Schreiber. Aber diese Aufgaben sind mehr meine Lebens-Mittel als mein Lebens-Zweck. Mein Leben selbst ist sein Zweck.
Würde die Frage lauten: "Was wäre ein guter Sinn unseres Lebens?", meine Antwort wäre: " ... daß wir Menschen uns an ihm und aneinander freuen" und uns so verhalten, daß das möglichist."

Hartmut von Hentig, geboren 1925, studierte alte Sprachen in Gottingen und Chicago, lehrte und forschte als Erziehungswisssenschaftler in Bielefeld, Hartmut von Hentig hat die Bildungsreform-Debatten der letzten Jahrzehnte sowie zahlreiche Werte-Diskussionen kritisch, engagiert, mit Sinn fürs Querdenken mitgeprägt.




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