Ist da noch Kirche drin? - Interview mit Pfadfinder Christian Peters

Diese und andere Fragen haben wir Christian Peters gestellt. Der 34jährige Bocholter war als Jugendlicher und junger Erwachsener zunächst in der Pfarrei Hl. Kreuz und dann weiterhin in der Pfarrei Liebfrauen ehrenamtlich aktiv. Zum Pfadfinderstamm Hl. Kreuz der DPSG gehört er seit seiner Kindheit. Mehr als 10 Jahre arbeitete Christian Peters im Team der Jugendkirche „Believe“ mit. Heute ist Christian Peters Kurat des Pfadfinderstammes Hl. Kreuz.

Wie sehen die Aufgaben eines Kurates aus? Wie gestaltest du diese Aufgaben?
Als Kurat bin ich Verbindung zwischen Gemeinde und Pfadfinderstamm. Ich bin darüber hinaus für das Seelenheil der Pfadfinder zuständig. Es geht da ganz einfach am Beispiel  des  Pfingstlagers um den Reisesegen, das Gebet zu den Mahlzeiten, das Vorbereiten des Lagergottesdienstes. Dazu gehört auch ein Impuls zur Weihnachtszeit, den wir schon seit Jahren machen. Mittlerweile am Tag vor Heiligabend kommen wir alle zusammen, um uns zu besinnen. Anschließend lassen wir den Abend gemeinsam am Lagerfeuer ausklingen.

Würdest du sagen, wenn man an Pfadfinder denkt, da ist noch was an Kirche drin – wenn man das mal so salopp formuliert.
Ja, auf jeden Fall. Da ist sicher ein klein wenig an Kirche vorhanden. Sicher nicht ganz so offensichtlich, sondern eher im Sinne von Gemeinschaft. Wenn man die katholische Gemeinschaft nimmt, stellt sich das bei uns so dar: füreinander da sein, die Starken kümmern sich um die Kleinen und es werden alle gleich behandelt. Dabei hilft auch unsere Pfadfinderkluft:  Wenn die jeder trägt, sieht man nicht mehr aus welchem Elternhaus man kommt, da ist man gleich unter  Vielen.  

Also spielt die Kleidung da auch eine Rolle?
Ja, die Pfadfinderkluft ist sehr wichtig, weil wir damit zeigen, dass wir Pfadfinder sind und dass wir zu bestimmten Werten stehen und uns dafür einsetzen. Genau wie viele, die ihren Trainingsanzug vom Fußballverein tragen und den auf dem Weg zum Training oder ins Trainingslager anhaben. Uns so haben wir unsere Pfadfinderkluft.

Wenn du sagst, du bist als Kurat Schnittstelle zur Gemeinde. Wie konkret gestaltet sich das?
Das heißt, dass ich mich mit Lukas Hermes zusammensetze, um dann die liturgischen Sachen zu besprechen, wie zum Beispiel den Lagergottesdienst, früher auch die Friedenslichtaktion.

Die hat es ja auch lange gegeben.

Stimmt. Die haben wir sehr lange gemacht und so lange wir konnten aufrechterhalten. Nur das Problem ist, es wird immer schwieriger, Jugendliche als Gruppenleiter zu bekommen. Gruppenkinder zu bekommen ist so schwierig nicht, da ist das Interesse noch groß genug. Schwierig ist es, genügend Leiter zu haben, die motiviert und engagiert bei der Sache sind.  Man hat wöchentlich seine Gruppenstunde. Das ist schon ein großer Zeitaufwand, den man erbringen muss. Dazu kommt einmal im Monat die Leiterrunde, bei der auch immer alle da sind. Zusätzlich noch Leiterwochenende, Pfingstlager, diesen Adventsimpuls, ein Stammestag, den wir für die Kinder ausrichten. Den haben wir im vergangenen Jahr mit dem Patronatsfest Hl. Kreuz kombiniert und uns da ins Gemeindeleben eingebracht. Es wird zunehmend Schwieriger für alle Aktionen ausreichend Leiter und Leiterinnen zu haben, weil mittlerweile alle im Ausbildungs- und Arbeitsleben angekommen sind. Haben teilweise auch Familie und da alles unter einen Hut zu bekommen ist schwierig.  Wir haben viele schöne und gute Ideen, die wir gerne machen wollen, wozu uns einfach das Personal fehlt. Manchmal kommen Sachen auch wieder. Zum Beispiel die Müllsammelaktion. Die war in den vergangenen Jahren ein wenig eingeschlafen, wegen geringer Beteiligung. In den letzten zwei Jahren stiegen das Interesse und die Beteiligung wieder. Und so muss man halt immer schauen, was man an personellen Möglichkeiten hat und was man stemmen kann.        

Und wo macht ihr diese Müllsammelaktion?
Die Müllsammelaktion wird von der ESB organisiert. Daran beteiligen sich alle Verbände und Vereine Bocholts, so wie wir halt auch. Gemeinsam haben wir in den Hohenhorster Bergen den Müll gesammelt. Da beteiligen wir uns auch gerne, da wir dort öfter mit den Gruppen zu finden sind auf Grund der Nähe zum Kreuzbergheim.

Du hast ja gerade selber skizziert, dass Jugendliche und junge Erwachsene viele andere Aufgaben und Verpflichtungen haben. Würdest du sagen, es ist einfacher junge  Menschen für ein punktuelles oder projektbezogenes Engagement zu gewinnen als für langfristige?
Das ist auf jeden Fall ein lohnenswerter Gedankenansatz. Wir versuchen das auch immer wieder selbst. Wir Pfadfinder bekommen auch für unseren Vorstand ganz schwer Nachwuchs. Aus diesem Grund verteilen wir die Aufgaben untereinander, zum Beispiel die Vorbereitung des Stammestages. Damit der Vorstand entlastet wird und nicht alles alleine stemmen muss. Es hat sich gezeigt, dass es sehr gut funktioniert, Leute für einzelne Aufgaben hinzuzuziehen. Die haben Spaß an der Aufgabe und nehmen dann ja auch selbst teil. So haben wir das beim letzten Stammestag gemacht, der im archäologischen Park in Xanten stattfand. Ein ehemaliger Pfadfinder von uns arbeitet dort. Der hat die Organisation in die Hand genommen und den Tag vor Ort gestaltet. So konnte er wieder etwas für uns und mit uns tun. Eine dauerhafte Aufgabe wäre für ihn auf Grund der Entfernung leider nicht möglich.  Somit macht es durchaus Sinn, für kurze Projekte oder Aktionen gezielt Leute anzusprechen. Damit kann man bestimmt auch Interesse wecken und der ein oder andere bleibt dann auch bestimmt mal hängen.

Wenn man das Pfadfindersein im klassischen Sinn versteht, hat es ja auch viel mit unseren christlichen Werten gemeinsam. Du hattest grad ja schon davon gesprochen, füreinander da sein, einander helfen, sich für die Umwelt einsetzen,... Da gibt es ja sicher noch ein paar Aspekte mehr, die eure Pfadfindergemeinschaft ausmachen.        
Wir achten Gottes Schöpfung, wir achten Gottes Natur. So wirklich aktiv in der Pfarrei sind wir eher weniger. Ich kenne zwei unserer Gruppen, die zu Beginn der Gruppenstunde immer ein kleines Gebet sprechen. Das gibt es tatsächlich noch. Machen aber auch nicht alle, weil wir auch kulturell gemischte Gruppen haben. Wir haben auch drei oder vier muslimische Kinder bei uns. Das Pfadfindersein im klassischen Sinn ist eher das Gruppengefüge, und dann Eigenverantwortung übernehmen. Der Gründer der Pfadfinder Sir Robert Stephenson Smyth Baden-Powell hat sich gedacht, dass man dadurch zu einem besseren Menschen wird. Dass man einfach aufmerksam, achtsam ist. Beispielsweise in der Natur dort zu laufen, wo schon ein Weg ist und nicht die Natur zertrampelt oder dass man in der Stadt nicht die Abkürzung über die Wiese nimmt, sondern auf dem Gehweg bleibt. Das sind Sachen, auf die wir Wert legen.
 
Du hast ja grad selber gesagt, dass ihr im Leben der Pfarrei nicht häufig auftaucht, so dass andere Menschen euch auch nicht wahrnehmen können. Das wird uns als  Gremienvertreter auch immer wieder deutlich, wenn wir über unser Zukunftsbild sprechen, in der Umfrage dazu oder auch  auf Gemeindeversammlungen. Viele Menschen in der Pfarrei vermissen „die Jugend“. Im kirchlichen Leben und in den Gottesdiensten werden junge Erwachsene,  Jugendliche und Kinder vermisst. Ich denke, dass dies ein  Ausdruck dafür ist, dass diese Menschen sich Sorgen machen um die Zukunft der Kirche. Ist diese Sorge in deinen Augen begründet oder kannst du den Leuten diese Ängste nehmen. Oder vielleicht einfach erklären, warum dass deiner Meinung nach so ist.    
Die Angst ist nicht ganz unbegründet. Das trifft aber auch auf viele andere Bereiche zu. Es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, dass für viele, die mit im Pfingstlager sind,  der Lagergottesdienst der einzige Gottesdienst im Jahr ist. Das finde ich auch nicht schön. Wir Pfadfinder sind da und werden auch noch lange da sein – könnte ich mir gut vorstellen. Wir sind da eher im Hintergrund. Also es wundert mich, dass wir so gar nicht wahrgenommen werden.  Aber wie gesagt wir haben uns beim Patronatsfest Hl. Kreuz eingebracht, da hätte man uns sehen können.

Aber da kommt ja auch nur ein Teil der Pfarrei zusammen.

Stimmt. Wir Pfadfinder sind da und bringen uns auf unsere Art ein. Wir sind der Pfarrei verbunden. Wir wollen uns nicht abgrenzen, das sage ich ganz klar. Im Allgemeinen ist es  für Kinder halt auch schwierig. Wenn die Eltern nicht mehr jeden Sonntag in die Kirche gehen, wird die Motivation der Kinder, das zu tun nicht unbedingt gestärkt.

Allgemein wird dies ja auch auf alle Jugendlichen zutreffen. Als Teamer bei der Jugendkirche hast du sicher ähnliche Beobachtungen gemacht?
Genau in vielen Fällen ja. Das sind ja viele Jugendliche, die sich im Sportverein oder Reitverein  oder wo auch immer engagieren. Da gibt es viele Vereine und Möglichkeiten, die nicht kirchlich sind. Und das, was früher üblich war, in mehreren Vereinen zu sein und bspw. zusätzlich noch im Jugendchor einer Pfarrei zu singen, ist heute kaum mehr möglich. Durch das aktuelle Schulsystem bedingt werden die Schulzeiten der Kinder und Jugendlichen immer länger. Folglich werden diese immer mehr eingespannt – Übernachmittagbetreuung und teilweise auch Unterricht. So ist ein Angebot für die Kinder schon gegeben und das Umfeld kennen die Kinder auch. Deswegen ist es dann vielleicht so, dass man sich noch eine Sache aussucht, die man nebenbei macht. Früher waren das vielleicht drei.

Wann sind denn dann eure Gruppenstunden, wenn du sagst Schule nimmt heute einen größeren Raum ein?
Die sind in der Regel später. Sie finden in der Zeit von 17:00 – 20:00 Uhr statt. In der Regel dauern die Gruppenstunden dann 1 -2 Stunden je nachdem, welche Gruppe man hat und was man macht.        

Aus deiner Erfahrung heraus betrachtet:  brauchen Jugendliche und junge Erwachsene hier in der Stadt Bocholt, in der Pfarrei Liebfrauen überhaupt noch so etwas wie eine Kategorie “Pfarrei“  oder spielt das in deren Leben keine wichtige Rolle.
Das ist eine schwierige Frage, die sich auch nur schwer beantworten lässt. Weil die Jugendlichen mit denen man in Kontakt steht, die man zum Beispiel bei der Jugendkirche kennengelernt hat, haben ja einen Bezug zur Kirche oder einer Pfarrei. So gesehen ist das für die wichtig. Die anderen sind ja für uns schwer zu erreichen. Bedarf gibt es auf jeden Fall. Vielleicht auch gemeindeübergreifend. Man sollte sich von Seiten der Kirchen in Bocholt Gedanken machen um ein  größeres Gefüge, wie das damals mit der Jugendkirche versucht worden ist. Diese war ja quasi gemeindelos und für alle offen – wobei ja jede Kirche für alle ist.

Daran  direkt anknüpfend. Was muss sich aus Sicht Jugendlicher / junger Erwachsener verändern, damit Kirche wieder attraktiver wird?
Bei der Jugendkirche hatten wir zuletzt rückgehende Teilnehmerzahlen. Wir haben die Jugendlichen nach ihren Wünschen gefragt, um unser Angebot zielgerichteter ausrichten zu können. So führten wir den Gottesdienst am Sonntagabend ein – später hieß es, das ist ungünstig, da treffen wir uns mit Freunden. Stattdessen führten wir nach einer neuen Umfrage einen abendlichen Impuls in der Woche ein. Aber auch danach wurde die Teilnehmerzahl immer geringer. Ich persönlich befürchte, dass Jugendliche gar nicht wirklich wissen, was sie wollen. Deswegen finde ich die klassische Kirche auch gar nicht so verkehrt, wo man seine Rituale hat, bei denen das Gleiche wiederholt wird. So hat man eine Beständigkeit. Es muss auch nichts Großes sein. Das man dann überlegt, Gottesdienste aufzufrischen, indem zum Beispiel frisches geistliches Liedgut eingebunden wird. Es ist halt nicht immer einfach, als Jugendlicher mit den Ansichten aller Priester zurecht zu kommen. In Liebfrauen haben wir in der Hinsicht eigentlich viel Glück – na ja, eigentlich auch in ganz Bocholt. Es gibt ja auch in manchen Kreisen so eine Art Personenkult, dass die Leute für einen entsprechenden Priester zur Kirche kommen. Ich finde, man sollte jedem eine Chance geben -  aber die Pfarrei soll auch den jungen Menschen eine Chance geben

Würdest du sagen, Jugendliche haben Spiritualität?
Jugendliche haben eine große Spiritualität. Die wird auf verschiedene Art und Weise ausgeprägt sein und ausgelebt. Es gibt Jugendliche, die abends ihr Gebet sprechen. Nehmen wir zum Beispiel die Radwallfahrt nach Kevelaer. Da gibt es relativ viele Kinder und Jugendliche als Teilnehmer, was mich immer sehr wundert. Aber das ist auch eine einmalige Aktion im Jahr, ein Wochenende. Vielleicht ist man deshalb auch leichter dafür zu begeistern.  Viele Kinder und Jugendliche fühlen etwas oder glauben etwas, aber können das nicht so genau einordnen. Irgendeine Art von Anleitung zum Glauben soll es auf jeden Fall geben.   

Was müsste die  Pfarrei Liebfrauen oder die Kirche hier im Dekanat tun, um Jugendliche anzusprechen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es sehr schwer ist, Jugendliche zu erreichen. Vielleicht müsste man die  Jugendlichen der Stadt fragen: „Was wollt ihr?“ oder zum Gespräch einladen. Vielleicht muss man auch hier gemeindeübergreifend und projektbezogen denken. Das man nicht versucht, etwas Dauerhaftes durchzuboxen, sondern ganz langsam beginnt – vielleicht mit einer größeren Sache im Jahr. Vielleicht entwickelt sich was daraus.
Die Kirche muss sicherlich glaubwürdiger werden. Aber das liegt auch immer am Personal. Auf bestimmte Sachen, die in Münster oder gar in Rom entschieden werden, haben wir gar keinen Einfluss. Und angesichts der Missbrauchsfälle gibt es da auch vieles zu tun. Man muss zusehen, dass die Menschen einem wieder vertrauen.
Als letztes noch: die vorbereitenden Kurse (Gruppenleitergrundkurse, Präventionsschulung, etc.) die Jugendliche absolvieren müssen, um Gruppenleiter/in zu werden, sind sehr zeitaufwendig. Mehrere Wochenenden müssen investiert werden. Aber sie sind auch wichtig. Dennoch hält das den ein oder anderen ab, sich zu engagieren. Allerdings sind ähnliche Dinge auch im Sportbereich nötig ….

Christian, wir danken für das interessante Gespräch!

- Gern geschehen! -

Das Interview führten G. Borgers und J. Rademacher

 
Veröffentlicht: 24.02.2020



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