Predigt von Pfarrer Rafael van Straelen im Rundfunkgottesdienst auf WDR 5

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
hier in unserer Liebfrauenkirche in Bocholt und an den Radiogeräten!
 
Als Kind begleitete mich durch die Fastenzeit ein Glasgefäß mit Bonbons. Diese Bonbons hatte ich beim Karnevalsumzug in meiner Heimatstadt gesammelt. Viele konnte ich davon nie essen. Denn zwischen Rosenmontag und Aschermittwoch blieb wenig Zeit dazu. Während der ganzen Fastenzeit stand dann dieses Bonbongefäß oben auf dem Küchenschrank. Unerreichbar aber ständig im Blick.
Die Versuchung doch heimlich zu naschen war groß: „Es wäre köstlich davon zu essen.“ Dieses Glasgefäß mit Bonbons war für mich eine ständige Versuchung.
 
Versucht zu werden, ist eine Grunderfahrung des Menschen. Dies kann jeden Tag geschehen. Es betrifft ohne Ausnahme jeden Menschen. Und seine Reaktion: Der Mensch kann einer Versuchung erliegen oder ihr widerstehen. Die biblische Botschaft dieses ersten Fastensonntags greift die Ur-Erfahrung der Versuchung auf. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob es – ähnlich wie beim Bonbonglas – in der Bibel auch um Essen geht: Ob die Frucht des Baumes wie bei Adam und Eva im Paradies, oder um Brot, das Hunger stillt, wie bei Jesus in der Wüste. Dies ist aber zu kurz gedacht. Es geht nicht bloß um Nahrung. Es geht auch nicht nur um Verbieten oder darum Bedürfnisse zu wecken.
Die Erzählung vom Sündenfall berichtet auch nicht von einem Ereignis über ein erstes Menschenpaar aus langer Vorzeit. Es geht um mehr: Es geht um den Menschen selbst und um das Menschsein an sich: In der Erzählung vom Sündenfall geht es um das Verhalten des Menschen gegenüber Gott. Adam und Eva, der Mensch – ob Mann oder Frau – erliegt der Versuchung sich an die Stelle Gottes zu setzen. Wie sagte doch gleich die Schlange: „Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott.“
 
Die Erzählung vom Sündenfall zeigt, wie gefährlich und verachtend es sein kann, wenn der Mensch sich selbst zu Gott macht; wenn er sich selbst als letzte Referenz für sein Denken und Handeln ansieht. Wenn der Mensch sich an Gottes Stelle erhebt, dann fällt er tief und schädigt sein eigenes Leben schwer und folgenreich. Das erste, was Adam und Eva nach dem Essen der Frucht erkennen: Sie sind nackt. Mir sagt das: Sie sind schutzlos. Und sie sind der Welt mit all ihrer Beschwernis ausgeliefert
und von Gottes Nähe getrennt.
 
Hier zeigt sich für mich: Ich kann versucht sein, den Mächten zu glauben, die letztlich Leben zerstören. Wer dieser Versuchung nachgibt, macht sich in seiner menschlichen Würde klein,
nimmt das Menschsein nicht ernst und kann in echte Gottferne gelangen. Besser u menschlicher ist es jedoch dem Gott zu glauben, der Leben schenkt. Es ist für mich besser, der Versuchung zu widerstehen wie Gott sein zu wollen. Denn das Nachgeben der Versuchung erniedrigt mich letztlich
und trennt mich von Gott.
 
So sehr Adam und Eva der Versuchung erlagen, so beeindruckend widerstand Jesus der Versuchung.
Dreimal tritt der Versucher an ihn heran; und dies zu genau einem Zeitpunkt, zu dem Jesus ausgelaugt und am Ende seiner Kräfte ist. Vierzig Tage hat er in der Wüste gehungert und gefastet. Aus dem Vertrauen in Gott widersteht er den Versuchungen, die ihm doch nur kurzfristige Beglückung verheißen. Denn die Formen der Versuchung    spiegeln Grundzüge des menschlichen Lebens wider:
die Gier nach Macht, Geld und Prestige, die Herrsch- und Eigensucht. Genau darin wird Jesus versucht: Er soll den Glauben an seinen Gott zu persönlichen Zwecken missbrauchen. Das verlangt der Versucher auf subtile Weise von ihm:
Seine Sehnsucht nach Gott soll er durch eine kurzfristige Stillung des Hungers befriedigen. Dazu soll er seine göttliche Vollmacht als magische Kraft verwenden und Steine zu Brot machen.
Die Gewissheit, in Gottes Hand geborgen zu sein, soll er tauschen in eine Erfahrung von wunderbarer Rettung bei einem Sturz aus der Höhe.
Die Pracht der Welt, alle Reiche, soll er annehmen und dafür die Herrlichkeit Gottes, aus der er kommt, preisgeben. Doch Jesus bleibt bei seinem Glauben an Gott; er lässt Gott Gott sein.
Im Vertrauen auf Gottes Wort widersteht er den Versuchungen nach falscher Macht, fälschlichem Ansehen und blendendem Reichtum.
 
Gier, Herrschsucht und Eigensucht; Prestige, Reichtum und Machtgelüste sind auch heute Versuchungen, mit denen der Mensch konfrontiert wird, denen er erliegen kann. Doch wie zeigen sich diese Versuchungen heute?
 
Für mich zeigt sich die größte Versuchung darin, sich die Welt bloß nach eigenem Gefallen zu konstruieren. Wie sang Pippi Langstrumpf doch gleich: „Ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt!“ In einer Zeit, in der das Gefühlte mehr gilt als das Faktische verliert der . Mensch die Realität aus dem Blick. Er verliert den Blick für das, was das Leben in dieser Welt und das Zusammenleben der Menschen trägt und lebensförderlich prägt. Eine Versuchung ist es, die komplexen Sachverhalte und komplizierten Zusammenhänge zu vereinfachen. Probleme und Ursachen zu generalisieren sowie Urteile zu pauschalieren nach dem Motto „Die sind alle so! Die sind schuld!“ – Ohne Frage: Es bedarf einer großen Anstrengung, die Probleme und Sachverhalte in unserer Welt zu verstehen. Das kostet Mühe und nicht immer kann ich die Zusammenhänge mancher Themen wirklich verstehen. Aber: Es ist eine große Versuchung in unserer Gesellschaft dem Populismus zu erliegen.
 
Schließlich ist der Mensch versucht, sich der Verantwortlichkeit für diese Welt und für die Völkergemeinschaft zu entziehen und sich stattdessen selbst genügend in ein privates, kleines Glück zurückzuziehen. Diesen Versuchungen gilt es zu widerstehen; gerade auch als Christinnen und Christen.
 
Mir imponiert dieser Jesus in der Wüste, wie er den Versuchungen widersteht. Und: Er fordert mich geradezu heraus und spornt mich an, darauf zu achten, wo und wie ich versucht werde. Er zeigt mir, wie ich aus dem Vertrauen auf Gott leben kann. In seiner Haltung warnt er mich davor, billigen Parolen, leeren Versprechungen oder Populisten mein Vertrauen zu schenken. Jesus Christus leitet mich dazu an, auch persönliche Interessen zurückzustellen und daran mitzuwirken, dass diese Welt dem ähnlich wird, was Gott in der Welt gewollt hat: Eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit;
eine Welt, in der alle auch für den anderen eintreten.
 
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Das Bonbonglas auf dem Küchenschrank war für mich als Kind eine ständige Versuchung. Es war ein Ringen zwischen Erliegen und Widerstehen. Meistens habe ich widerstanden. Manchmal erlag ich aber doch der heimlichen Nascherei. Bei all dem Ringen zwischen Widerstand und Erliegen habe ich erfahren: Es gibt die Kraft in mir zu widerstehen. Eine Kraft, die – so würde ich heute sagen – herrührt aus dem Vertrauen in Gott. – Auch heute gibt es für mich Versuchungen. Und ich ringe darum zu widerstehen. Mir ist dabei wichtig, dass ich sehr aufmerksam auf mich und mein Lebensgefüge achte. Dazu gehört auch, dass ich sehr aufmerksam darauf achte, was sich gesellschaftlich und politisch in der Welt (um mich herum) ereignet. Mit Gott in Kontakt zu sein hilft mir dabei. Und genau dazu gibt die österliche Bußzeit mir neu Gelegenheit.
– Amen.
 
Die Predigt von Pfarrer Rafael van Straelen kann hier als PDF abgerufen werden.
Veröffentlicht: 05.03.2017



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